Je mehr du versuchst zu überzeugen,
desto unglaubwürdiger wirst du.
Humberto Maturana
„Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer ..."1
Eine logotherapeutische Antwort auf „Klima-Angst"2
Der Begriff Eco-Anxiety ist ein relativ junges Phänomen und hierzulande eher ungeläufig und wenig gebraucht (vgl. Raile und Rieken 2021, S. 9). Gemeint ist eine chronische Angst vor dem Untergang der Umwelt3 resp. eine „unspezifische Zukunftsangst" (Raile und Rieken 2021, S. 194). Die in diesem Zusammenhang neue Wortschöpfung Solastalgie bezeichnet den physischen oder existentiellen Stress, der durch die Veränderungen der Umwelt entsteht, in der man lebt und mit der man verbunden ist (vgl. ebd. S. 191, S. 193). Immer mehr Menschen sind davon betroffen.4
Klimaangst lässt sich begründen: Umbruchphasen und die Veränderung der gewohnten Umwelt wie die gegenwärtige globale Erwärmung und die Zunahme von Extremwetterereignissen können Ängste auslösen (vgl. ebd. S. 191). Verunsicherung wird auch durch eine pessimistische und großteils widersprüchliche mediale Berichterstattung hervorgerufen (vgl. ebd. S. 109, S. 151, S. 193; vgl. Rahmstorf und Schellnhuber 2019, S. 84, S. 86). Die Umweltprotestbewegungen verstärken die Ängste der Menschen, wenn Angstmache bewusst eingesetzt wird, um Forderungen durchzusetzen.
Die Angst kann phasenweise so stark sein, dass der Alltag der von Klimaangst Betroffenen erheblich belastet ist (vgl. Raile und Rieken 2021, S. 194). Zur Angst und Sorge5 vor Klimaveränderungen gesellen sich zudem Gefühle der Wut, Aggression oder Depression, Hoffnungslosigkeit, Schuld oder Panik (vgl. ebd. S. 181, S. 101, S. 192).
Nun ist es unleugbar, dass die Menschheit von mannigfachen existentiellen Krisen bedroht ist: Neben der gesundheitlichen Bedrohung durch die Corona-Pandemie sind beispielsweise das Klima, die Umwelt und das soziale Miteinander in Gefahr. Zu Beginn der Gesundheitskrise im ersten Halbjahr des letzten Jahres zeichnete sich in Ansätzen eine Chance für eine Weiterentwicklung der Menschheit ab hin zu größerer Solidarität, da Menschen sichtbar weit über den eigenen Bezugsrahmen hinaus Verantwortung übernahmen und menschlicher Zusammenhalt spürbar wurde. Aktuell lässt sich Gegenteiliges beobachten: Vom Psychischen her dominieren Ängste, die sich zunehmend auf alle gesellschaftlichen Bereiche negativ auswirken. Trennendes tritt mehr und mehr zutage, Wut und Aggressionen nehmen zu zwischen beispielsweise Geimpften und Nichtgeimpften, eine angstorientierte Haltung - und nicht das Virus selbst - gefährdet mittlerweile zunehmend Millionen von Menschen (vgl. Spaleck und Spaleck 2021, S. 21f.), begleitet von abstrusesten Fantasien.
Die Bedrohung der Zukunft löst Resignation und Angst hervor und wird vor allem bei der Jugend als Sinnverlust erlebt (vgl. Bohnsack 2016, S. 15). Welche Bedeutung können hier die zentralen Begriffe der Logotherapie „Freiheit" und „Verantwortung", darüber hinaus eine hoffnungsvolle Haltung, die im Vertrauen und der Zuversicht gründet, haben? Ist dieser realen bedrohlichen Krise ein Sinn abzugewinnen, der „Wille zum Sinn", das Herzstück der Logotherapie, kraftvoll genug? Ist angesichts der Bedrohlichkeit der Appell an ein „Seins-Vertrauen" zwingend notwendig oder gar eine Farce? Es zeigt sich angesichts der aktuellen Krisen: Gerade bei der Frage nach dem Vertrauen kommen funktionale Menschenbilder an ihre Grenzen; Ein Menschenbild, das die Personalität jedes einzelnen Menschen - die Geistige Person - im Blick hat, an ihren wirklichen Gehalt (vgl. Spaleck und Spaleck 2021, S. 22).
Jede Krise birgt Chance und Gefahr in sich. Elisabeth Lukas zufolge rangiert die Chance „höher" als die Gefahr. „Die Chance ist das Wesentliche, auf das jede Krise hingeordnet ist. Sie ist die verborgene Wertgröße, die in jeder Krise schlummert" (Lukas 2014, S. 13). Es liegt an der Person, das jeder Krise immanente Potential zu heben, auf die Krise widersinnig oder sinnorientiert zu antworten.
Ulla und Matthias Spaleck betonen in ihrem Beitrag „Nie war es wertvoll wie heute ..." (2021) die Bedeutung des Menschenbildes von Viktor E. Frankl für einen „Paradigmenwechsel in Zeiten globaler Krisen". Frankls Verdienst ist es, dass er nicht müde wurde, neben der psychischen die geistige Dimension des Menschen aufzuzeigen. Darauf aufbauend hat der Frankl-Schüler Uwe Böschemeyer seine Forschungen der Bedeutung des „Geistig Unbewussten" und der spezifischen menschlichen Werte gewidmet (Böschemeyer 1977 und nachfolgende Werke). Die geistige Dimension ist es, die den Menschen mit der Sphäre der Werte verbindet. Als Geistige Person erlebt sich die Person verbunden und verwandt mit der Schöpfung. Aus der geistigen Dimension ist sinn-motiviertes Handeln und Gestalten möglich. Der psychischen Dimension hingegen entspringen Getrenntheitserleben, Unsicherheit, Angst und das unbedingte Bedürfnis, sich schützen zu müssen (vgl. Spaleck und Spalcek 2021, S. 16). Die Angst macht blind gegenüber den Sinnanfragen des Lebens, sie tötet jegliches Aufkeimen von Kreativität und Lebensbejahung ab. Spaleck und Spaleck formulieren die These, dass der globale Umgang mit der pandemischen Krise überwiegend auf der psychischen Ebene erfolgt und deshalb destruktiv auf unterschiedlichste Lebensbereiche ein- und sich auswirkt. Dagegen ist es die „Sphäre der Werte" und mithin die Orientierung an Werten, die die Menschheit eint. Deshalb: „Krisen sind aktiv und nachhaltig nur aus dem Feld der Geistigen Person zu lösen" (ebd. S. 18). In Krisenzeiten ist es umso wichtiger, sich des „eigentlichen wesentlichen, existentiellen personalen Kernbereich[s] zu besinnen" (ebd. S. 39).
Ein Fallbeispiel
Klaus, 37 Jahre, Jugendsozialarbeiter, kam in meine Beratungspraxis, weil er sich beruflich verändern wollte. Klaus hatte sich ursprünglich für eine Fortbildung zum Thema „Gestärkt durch's Arbeitsjahr" angemeldet, die aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden musste. So wurde er auf mich aufmerksam. Nachdem er über die Herausforderungen in seinem Berufsalltag klagte, kam er irgendwann, eher beiläufig, auf das Thema Klimaschutz zu sprechen. Als ich sehr aufmerksam und dazu noch fachlich fundiert darauf einging, erzählte er mehr von seinem Aktivismus und gestand schließlich, dass die Offenlegung seines Engagements immer gut überlegt sein müsse, weil das Thema beim Gegenüber oft Missfallen auslöse. Weckte er als Sozialarbeiter meist das Interesse bei anderen an seiner Arbeit, so wenden sich Menschen schnell ab, wenn es um das Thema „Klima" geht.
Es stellte sich bald heraus, dass Klaus von „Klima-Angst" betroffen ist: „Ich habe solche Angst. Sie lähmt mich, in allem was ich tue, tun will. ... Wir [die Bewegung] haben alle diese Angst" gestand Klaus. Klaus' eigentliche berufliche Veränderung und anstehende Entscheidung drehte sich um die Frage, ob er sich beruflich mehr dem Klimaaktivismus verschreiben sollte. Schon jetzt gab es Angebote für ein Buchprojekt eines renommierten Verlages, er veröffentlichte immer wieder Fachartikel und wurde neulich vom Fernsehen für ein Interview angefragt, wo er mit der Zusage noch zögerte. Mein Eindruck war, dass sich Klaus innerlich bereits längst für diesen Weg entschieden hatte. „Wovor haben Sie Angst?" fragte ich ihn. Es sei zum einen die Angst davor, dass wir alle untergehen werden, weil es nichts mehr zu retten gäbe. Zum anderen die Angst, von dem Thema insgesamt und den dauernden Schreckensmeldungen verschlungen zu werden. Es gäbe nur Studien mit negativen Zukunftsszenarien.
„Was ist das Gegenteil von Angst, Klaus?" fragte ich ihn. Schulterzucken. „Wäre es denkbar, dass Sie mit der Zuversicht, dem Hoffnungsvollen Kontakt aufnehmen könnten?" Klaus mache all das in seinen öffentlichen Beiträgen, wenngleich er selbst nicht daran glaube, nicht mehr daran glauben konnte.
Nach einer Woche kam Klaus wieder und begrüßte mich damit, dass es für ihn unglaublich motivierend gewesen sei, mit jemandem über seine Angst so offen zu sprechen, dass ich mitreden konnte und über Klima-Angst Bescheid wusste. Zur Lähmung durch Angst aufgrund der hoffnungslosen Aussicht kamen nun die Begleitgefühle zur Sprache: War schon die Abgrenzung von den Problemen seiner Klient*innen immer schwierig für ihn und mit ein Beweggrund für die berufliche Neuorientierung, so sei er im Klimaaktivismus stärker denn je damit konfrontiert, stellte er zurecht fest. „Und wenn Sie sich so richtig reinhauen in das Thema, wenn Sie sich so richtig berühren lassen? Was ist ein halbherziger Aktivismus schon wert?" fragte ich etwas provokant. Klaus schaute mich erstaunt an. Ich wiederholte: „Ich meine es ernst. Lassen Sie sich vereinnahmen! Alles andere kostet zu viel Energie. Und würde dem Anliegen - der Rettung der Erde - auch nicht gerecht." Klaus' Gesicht hellte sich etwas auf.
Ich erinnerte Klaus gleichzeitig an die Tugend vom „rechten Maß": Sich für den Klimaschutz einzusetzen bedeutet auch, immer wieder auf das rechte Maß zu achten, sich bewusst vom von der Psyche evozierten Wust von destruktiven Gefühlen zu distanzieren und sich darin zu üben, aus der geistigen Dimension heraus auf das Werthafte zu schauen. Es bedarf immer wieder des bewussten JA- Sagens zum Leben und den Ruf zu vernehmen.
„Aber - " Klaus hatte bisher große Ängste vor öffentlichen Auftritten und es geschafft, sich davor zu drücken. „Ich freue mich", sagte ich, „dass Sie nun über Ihr GeRUFensein diese Ängste überwinden dürfen. Sie müssen veröffentlichen, Interviews geben, Reden halten - wir brauchen Ihr Wissen! Die Welt wäre ohne Ihr Wissen ärmer." Klaus lächelte mich vielsagend an.
Klaus gestand schließlich, dass es ihm durchaus auch schmeichelte, dass er so viele Anfragen bekommt. Ein eventuelles Buchprojekt. Die Interviewanfrage eines renommierten Fernsehsenders. Er hätte niemals gedacht, dass er je ein Buch schreiben, ein Interview geben würde. Auch dieses erstmalig ehrliche Eingeständnis von Stolz lockerte einiges bei ihm.
Doch kam er wieder zurück zur Hoffnungslosigkeit und Lähmung. Ich fragte ihn: „Was wäre denn, wenn Sie sich vornähmen, nicht gleich die ganze Welt retten zu wollen, sondern sich auf ein bestimmtes Thema spezialisierten? Jede Forschungsarbeit muss vom großen Ausgangsthema zur ganz spezifischen Fragestellung kommen und kann nie „alles" zugleich beantworten. Klaus gestand, dass genau diese Schwierigkeit der Grund war, weshalb er nach mehreren Anläufen keine Doktorarbeit geschrieben hatte. „Sehen Sie, es bleibt Ihnen auch das nicht erspart. Nun dürfen Sie es lernen."
Ein starkes Motiv, wie es das Sinnmotiv ist, hilft, immer wieder das Grundvertrauen in das Leben zu stärken und das Hoffnungsvolle in den Blick zu nehmen. Die entscheidende Frage ist daher: Ist das, was ich vorhabe zu tun, sinnvoll, wertvoll für diese Welt?
Hoffnungsvollsein wird in der Logotherapie ausgedrückt durch Selbsttranszendenz. Die Wandlung der Angst in eine sinnvolle Aktivität im Einsatz für diese Welt gründet in der Hoffnung, dass es gut wird und gut ist, egal wie es ausgeht. Hoffnung verlangt einen Vertrauensvorschuss gegenüber einem Letztgeheimnis, das unseren Intellekt übersteigt (vgl. Lukas 1996, S. 19). Sie „scheint", so der Neurobiologe Gerald Hüther, „unsere stärkste Vertrauensressource zu sein, weil sie weder von unseren eigenen Kompetenzen noch von denen anderer abhängig ist" (2020, S. 88). Die Hoffnung ist wie das Gute, Schöne und Wahre im Geistigen zuhause.
„Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer ..."
Das Sinn-Motiv der gegenwärtigen Krisen liegt in der Lebensbejahung und der Schaffung einer Lebensgrundlage und Inspirationsquelle für die nachfolgenden Generationen. Dazu sind wir nicht nur frei, sondern auch verantwortlich. Im vertrauensvollen Kontakt mit dem Schönen, Guten und Wahren könnten der Menschheit Kreativität und ungeahnte Möglichkeiten zuwachsen.
1 Pablo Picasso
2 Dieser Beitrag ist erstmalig in voller Länge erschienen in der Zeitschrift der SGLE Schweizerische Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse, hg. vom Vorstand SGLE, Heft 2021, S. 9 - 14
3 APA American Psychological Association. Internet: https://www.apa.org/research/action/speaking-of-psychology/eco-anxiety (25.4.2021)
4 R+V Versicherung: https://www.ruv.de/presse/aengste-der-deutschen/aengste-der-deutschen-langzeitvergleich (10.04.2021)
5 Raile und Rieken unterscheiden in Ihrer Studie zwischen Angst und Sorge vor dem Klimawandel und dessen Folgen. Die Sorge war dabei deutlich höher als die Angst (vgl. ebd. S. 91).
Literaturverzeichnis
Bohnsack, Fritz 2016: Sinnvertiefung im Alltag. Zugänge zu einer lebensnahen Spiritualität. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich
Böschemeyer, Uwe 1977: Die Sinnfrage in Psychotherapie und Theologie. Die Existenzanalyse und Logotherapie Viktor E. Frankl aus theologischer Sicher. Berlin/New York: Walter de Gruyter
Hüther, Gerald 2020: Wege aus der Angst. Über die Kunst, die Unvorhersehbarkeit des Lebens anzunehmen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Lukas, Elisabeth 1996: Wider das Prinzip Enttäuschung. Realistische Depression oder tragischer Optimismus? Argumente für die logotherapeutische Position. In: Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Logotherapie: Das Prinzip Hoffnung in der Logotherapie. Tagungsbericht zur Freundschaftstagung der Schweizerischen und Deutschen Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse 13. - 16. Juni 1996 in Davos. S. 13 - 27
Lukas, Elisabeth 2014: Quellen sinnvollen Lebens. Woraus wir Kraft schöpfen können. München: Neue Stadt
Rahmstorf, Stefan und Schellnhuber Hans J. 2019: Der Klimawandel. 9. Auflage. München: Beck.
Raile, Paolo und Rieken, Bernd 2021: Eco Anxiety - die Angst vor dem Klimawandel. Psychotherapiewissenschaftliche und ethnologische Zugänge. Psychotherapiewissenschaft in Forschung, Profession und Kultur
Spaleck Ulla und Spaleck Gottfried M. 2021: „Nie war es so wertvoll wie heute ...". In: Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse e. V. (Hg.): Existenz und Logos. Zeitschrift für sinnzentrierte Therapie/Beratung/Bildung. Heft 29 - 2021, S. 13 - 39