Ich wusste nicht,
dass es unmöglich war,
deshalb habe ich es getan.
Jean Cocteau
PFOTEN FÜR DIE SEELE
Tierunterstützte Logotherapie bei Wahrnehmungsstörungen
Das,
was sich aus Erfahrung bewährt hat, legt fest, wohin es geht, egal ob
uns das gefällt oder nicht, und ob das mit unserer gegenwärtigen
Vorstellung von der Freiheit menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns
vereinbar ist oder nicht.
(Gerald Hüther)
Heute haben wir viele
naturwissenschaftliche Erkenntnisse, wie unkontrollierte
Stresssituationen uns tagelang als ungutes Gefühl im Bauch liegen, wie
Angst, auf einer somatischen Grundlage unser Leben determinieren kann.
Viktor
E. Frankl vertraute seinem psychiatrischen Credo, dass die
geistige Dimension niemals erkranken kann, höchstens vernebelt ist, Er
spürte, dass sein psychotherapeutischen Credo, dass der Mensch zur
somatischen Ausgangslage und zur psychischen Situation Stellung beziehen
kann, immer Gültigkeit besitzt. Auch bei Kindern, die an einer
Wahrnehmungsstörung leiden.
André ist 7 Jahre alt, er besuchte einen
Integrationskindergarten, Herbst 2013 beginnt er in einer
Inklusionsklasse mit der Volksschule. Manche Alltagsbedingungen stellen
ein großes Hindernis für ihn dar. Die steile Schotterstraße - dafür
brauchte es liebevolle, sicherheitgebende Unterstützung – die Hand
der Mutter. Um André für den Schulbeginn mehr mit seiner unglaublichen
Einzigartigkeit, mit seinem großartigen Wesen in Verbindung zu
bringen, ihm vermehrt einen Zugang zu seinen
Selbstheilungskräften erspüren zu lassen, entstand die Idee zur
Hundetherapie.
Neurobiologisch ausgedrückt heißt das Therapieziel:
durch sein Erfahren von kontrollierbaren Stressreaktionen wird das große
noradrenergene Leitsystem aktiviert, wodurch selbst anfangs schwierige,
angstbesetzte Handlungen dann mühelos vollzogen werden können.
Montag, 22. Juli 2013 - Andrés
Mutter schreibt nach dem ersten Treffen mit den Hunden: BESUCH VON STEP
UND BUBERLE - ZWEI KLEINE, GANZ GROSSE HUNDE
Am Nachmittag kamen uns 2
süße Zwergpinscher besuchen. Ich war selbst sehr neugierig und freute
mich sehr auf das Treffen, da ich selbst mit Hunden
(Pekinesen/Zwergspitz) aufgewachsen bin und deshalb umso mehr sehen
wollte, wie mein Sohn darauf reagiert. Dass Hunde lieb und nett sind,
das weiß man ja, aber gibt’s da noch mehr? Ja das gibt`s! Unser Treffen
verlief so: Wir gingen zum Auto von Margit Spörr vor unserer Wohnanlage
und holten sie und die Hunde dort ab. Buberle ist sehr temperamentvoll
und verspielt, sprang André zur Begrüßung gleich an. André erschrak
erstmals, Step ist hingegen eher ruhig und verschmust, eine tolle
Mischung, die zwei. Wir gingen in unsere Wohnung und dann auf die
Terrasse, wo André ihnen schon Wasser zum Trinken hingestellt hat(ohne
Aufforderung, ganz von allein). Dort saßen wir dann alle vier am Boden
und es fand das Kennenlernen- schnüffeln statt, André gab Step sogar ein
Küsschen auf den Rücken. Margit erklärte sehr liebevoll und ruhig, dass
er den Hunden Kommandos geben kann/darf. Es war schön zum Ansehen, wie
es ihm Freude machte, dass er mal der Große ist, der Befehle gibt
und die befolgt werden, das gibt ihm Sicherheit und Stärke. Ich fand, er
sah die Hunde mit Margit gleich als Freunde an, denn er wollte Ihnen
gleich auch sein Zimmer und die Spielsachen zeigen. Die Hunde fühlten
sich bei uns gleich wie Zuhause, denn sie flitzten, wie zwei
Wirbelwinde, durch die Gegend. Nach einer Zeit gingen wir dann in den
angrenzenden Wald mit Spielplatz. André ging mit Step, wie
selbstverständlich und voller Stolz an der Leine. Als wir dann zum
abschüssigen Schotterweg kamen, da dachte ich mir, bin ja gespannt, wie
er mit Step da runter kommen will, denn er brauchte ja mich immer als
Hilfe und Stütze dazu.
Da kam ich dann das erste Mal zum Staunen,
als er ohne meine Hilfe und Unterstützung mit Step an der Leine sicher
runterspazierte. Das hatte er an dieser Stelle noch nie gemacht.
Step hat ihm so viel Sicherheit gegeben und ihm von seiner Unsicherheit
abgelenkt, dass er total vergessen hatte, nach mir zu fragen. Ich denke
mir er hat ihm das Gefühl gegeben, ein Team zu sein. Am Spielplatz
angekommen erwartete ich schon das nächste Problem. Denn André wollte in
den Bach hineinsteigen und ich hatte seine Gummistiefel/Croccs nicht
mitgenommen. Da kam ich dann das zweite Mal zum Staunen, als
er nur mit seinen Socken in den Bach stieg, auf den spitzen Steinen und
dem unebenen Untergrund rauf und runter ging und dabei völlig vergaß,
dass er das auf keinen Fall normalerweise mag. Ich setzte mich dann auf
einen Stein und sah ihnen zu und genoss den Moment, André so unbeschwert
zu sehen.
Da beobachtete ich, wie er zu den
anderen Kindern auf einmal frech wurde und sagte, dass das sein
Spielplatz sei und sein Bach, das hatte er sich sonst noch nie so
getraut. Aber mit Step so scheint es, fühlte er sich stark und groß.
Nach einer Weile gingen wir wieder zurück, und als wir dann auf die
Straße vor unserer Wohnung zugingen, dachte ich mir, bin jetzt
neugierig, wie er mit Step an der Leine die Wohnstraße zu überqueren
versucht. Ich bin es nämlich gewöhnt, durch sein Wahrnehmungsproblem,
dass er auf den Straßenverkehr nicht achtet. Ich beobachtete ihn genau
und staunte zum dritten Mal, als er Step erklärte, dass man immer
zuerst nach oben und unten schauen muss, und dann erst über
die Straße gehen darf. Ich habe André in diesen zwei Stunden viel
sicherer und unbeschwerter erlebt. Ich möchte mich für diese wertvollen
Momente herzlich bedanken.
Die Basissinne zeigen auf, wo ein
Mensch über – oder unterempfindlich reagiert, wo sich die Person
qualitativ in ihrer Entwicklung befindet.
Etwas, was man nicht
kann, kann man nicht üben – d. h. in den verschiedenen
Entwicklungsstufen müssen ausreichende Vorbedingungen erarbeitet werden.
Werden Entwicklungsstufen übersprungen, bilden sich „Löcher“, diese
sind kein gutes Sprungbrett für das spätere schulische Lernen.
Jean
Ayres sagt, dass die Therapie immer dann am wirksamsten ist, wenn das
Kind seine Handlungen selbstbestimmt, während die TherapeutInnen
unaufdringlich die Umgebung des Kindes lenken. Frankl forderte die
Rehumanisierung der Medizin, in seiner hervorragenden
Dimensionalontologie warnte er, den Menschen, um die Dimension des
spezifisch Humanen zu reduzieren, nur in die Ebene der Biologie und der
Psychologie zu projizieren, nur die Wahrnehmungsstörung zu sehen. Das
klassische „Beturnen“ und viele Vorsorgeuntersuchungen, die mehr nach
der Quantität (was das Kind kann) sehen, weniger auf die hohe, schon
vorhandene Qualität/Einzigartigkeit (wie ein Kind etwas
bewältigt), seine Unverwechselbarkeit achten, die reduzieren das
Kind. Es leidet seine unverlierbare Würde. Kein Mensch hat einen
Nutzwert, wie Frankl ganz klar betonte. Würde-blind muss
jede Behandlung sein, sobald sie die Person zur Sache macht (Frankl).
Diese
Formen der Kommunikationsstörung erleben wir in allen Lebensbereichen.
Wollen wir uns einen kleinen Leberfleck auf dem Rücken von der
Hautärztin operativ entfernen lassen, findet der Dialog zwischen Ärztin
und Assistentin „über“ meinen Rücken statt. Die eigene Wertigkeit als
lebendiges Wesen wird gar nicht wahrgenommen.
Auch nützt es wenig
einem Zappelphilipp unter Strafandrohung zum Stillsitzen zu zwingen. Aus
Angst kann er seinen Bewegungsdrang dann vielleicht schon unter
Kontrolle bekommen, aber dann bleibt keine Energie mehr für die
Konzentration - seine gesamten Kräfte werden für das Stillsitzen
vergeudet. Einen Lösungsweg, den das Kind selber entwickelt hat, hat es
begriffen.
Lernen kann man nur selber und ist das Gegenteil von belehrt werden! (Reinhard Kahl)
Henning Köhler plädiert für den
„werterkennenden Blick“: „Der bewertende, abschätzende Blick wirkt immer
kränkend, auch wenn er zu positiven Ergebnissen führt, denn er
degradiert den Menschen zum Objekt einer Qualitätsprüfung, reduziert ihn
auf ein zu begutachtendes (totes) Abbild seiner selbst, lässt ihn
mitten im Leben zur Pose erstarren und ist somit seinem Wesen nach
der beziehunsverhindernde oder beziehungsbeendende Blick. Also fügt er
Schmerz zu, einen mit der Beschämung verwandten Schmerz, und löst
Reaktionen der Beschämungsschmerzabwehr aus.“
Es braucht Mut und
Geduld von uns Erwachsenen, Kinder auf ihrem Lebensweg, ihre eigenen
Erfahrungen machen zu lassen. Wir sollten Fehler als Lernverbündete, als
Lerngeschenke, sehen – sie halten uns wach, regen uns zu neuen
Lösungsversuchen an. Steh-auf-Männchen-Qualitäten zu entwickeln, ist für
ein sinnerfülltes Leben unumgänglich.
„Die herkömmliche
Misstrauenspädagogik ist verdummend, weil sie die Kinder daran hindert,
den eigenen Wahrnehmungen zu trauen. Wer sich selbst misstraut, dem wird
sogar das schwer und anstrengend, was leicht sein könnte.“ (Reinhard
Kahl in seinem Film „Lob des Fehlers“)
Wie
heißt dieses Gefühl, das so stark ist, dass es die Angst besiegt, das
so stark werden kann, dass es Menschen sogar die größte Angst…. Wie
ahnen wir dieses Gefühl heißen könnte, das die Angst besiegt. Es ist die
LIEBE.
(Gerald Hüther)
Viktor E. Frankl hatte erkannt,
dass in der Selbsttranszendenz genau diese Phänomene ganz automatisch
zum Tragen kommen. André vergaß völlig in seiner BeGEISTerung für Step
und Buberle, dass er doch die steile Schotterstraße nicht alleine
hinuntergehen konnte. Er brauchte selbst beim ersten Treffen mit den
wahren Therapeuten , den Hunden, keine vertraute Person, die die übliche
Sicherheit geben musste. In seiner überschäumenden Freude mit den
Hunden hatte er ganz automatisch mit seiner unzerstörbaren,
intrinsischen Sicherheit Kontakt – mit seinem Urvertrauen, mit seinem
Geliebt- und Getragen-Sein in dieser Welt.
Da André nicht mehr
durch die Macht der somatischen und der psychischen Dimension
determiniert war – in seiner völligen Selbsttranszendenz, seiner Hingabe
an Step, die er an der Leine führte – hatte seine psychische
Speicherung “dass er die steile Straße natürlich nicht alleine
bewältigen kann” keine Chance mehr.
“Wer Du spricht, hat kein Etwas zum Gegenstand,…, hat nichts. Aber er steht in der Beziehung” - André, er war hellwach, er konnte sich voll auf Step und Buberle einlassen – die Macht der Auschließlichkeit hatte ihn ergriffen (Martin Buber).
Dr. Heidi Vonwald, Innsbruck
Leiterin
von ABILE WEST, Lehrtherapeutin für Logotherapie und Existenzanalyse in
Bozen, Chur, Donau-Universität Krems, Wien. Seit 25 Jahren in freier
psychotherapeutischer Praxis.
LITERATUR
Fromm, E. (1979): Die Kunst des Liebens. Frankfurt a. M./Berlin/Wien
Hüther, G. (2012): Bilogoie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden. Göttingen, 11. Auflage
Köhler, H. (1997): “Schwierige” Kinder gibt es nicht. Stuttgart, 3. Aufl.
Treichler, M. (1993): Sprechstunde Psychotherapie. Krisen – Krankheiten an Leib und Seele. Wege zur Bewältigung. Stuttgart